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Die Gewerkschaft entdeckt

Kathy Rami hat sich stark in ihrer Personalkommission engagiert: um Arbeitsplätze zu retten und den Sozialplan der Druckerei Swissprinters in Renens, die seit dem 1. Oktober IRL plus SA heisst, zu verbessern. Nach einem Jahr grosser Veränderungen denkt die Allround-Sekretärin, die ihre gewerkschaftliche Seite entdeckt hat, wieder etwas mehr an sich selbst. 

Wenn man in die Räume der Druckerei IRL plus SA in Renens, ehemals Swissprinters, kommt, fällt einem das Ausmass der Arbeiten und des laufenden Umzugs auf. Die Firma verfügt nur noch über zwei statt wie vorher vier Stockwerke. Ausserdem ist der Lohn der Mitarbeitenden um 15% gesunken. «Das ist doch ein Opfer, das wir bringen. So viel ist sicher», vertraut uns Kathy Rami an. Die gelernte kaufmännische Angestellte ist seit 14 Jahren Sekretärin bei IRL. Sie kümmert sich um kaufmännische Geschäftsführung, Abonnemente, Adresskarteien, Rechnungserfassung, Empfang, Vertretung der Direktionssekretärin. Sie mag ihre sehr abwechslungsreiche Arbeit, auch wenn diese derzeit sehr stressig ist.

«Mehr Farbe ins Leben»

Die 48-jährige Kathy Rami erkennt man sofort an ihrem schallenden Lachen und ihrer tiefen Stimme. Sie tritt energisch auf. Hinter dem Lachen spürt man dennoch einen Hauch Bitterkeit: «Ich habe viele Enttäuschungen erlebt, aber da ich jemand bin, der positiv denkt, lasse ich mich nicht entmutigen.»

In diesem Jahr hat Kathy Rami gleich zwei grosse Umwälzungen erlebt. Die erste in ihrem Privatleben: «Ich lebe seit Juli getrennt und bin nun allein mit drei Jugendlichen im Alter von 14, 19 und 20 Jahren. Wir mussten uns neu organisieren. Sie machen mit und halten sich gut an die Spielregeln.» Kathy Rami hat Wege gefunden, mit der Situation umzugehen. «Da sich dieses Jahr in meinem Leben ziemlich viel verändert hat, verändere ich auch mein Äusseres in Bezug auf Kleidung, Brille und Frisur. Ich bringe etwas mehr Farbe in mein Leben.»

Auch Sport hilft ihr sehr: «Ich habe wieder zu schwimmen angefangen und mache jede Woche meinen Kilometer. Ich möchte mich wieder mehr um mich selbst kümmern. Um meinen Mann, meine Kinder und mein Berufsleben habe ich mich nun genug gesorgt. Nun ist es Zeit: Jetzt bin ich an der Reihe. Das ist mein gutes Recht. Ich lese auch Krimis, am liebsten auf Deutsch.»

Am 19. Juli kam der zweite Hammerschlag. An diesem Tag kündigte Swissprinters das Ende einer über hundertjährigen Druckerei an – 126 Entlassungen, über welche die Website von «24Heures» noch vor der Direktion berichtete. Welch ein Schock. Sehr rasch musste eine Personalkommission aufgebaut werden. In drei Stunden war es vollbracht. Kathy Rami erinnert sich: «Ich habe mich dieser Personalkommission aus Wut angeschlossen. Ich habe mir gesagt: ‹So nicht.› Wir waren alle stolz, für diese Firma zu arbeiten, wo das Dienstalter im Durchschnitt bei 15 Jahren liegt; das ist enorm. Wir waren entschlossen und verspürten Lust, etwas zu tun. Wir sind ins kalte Wasser gesprungen und mussten schwimmen lernen.» Anfänglich seien die Beziehungen zur Gewerkschaft von einem gewissen Misstrauen geprägt gewesen: «Mangels Erfahrung, weil die Direktion uns Angst einjagte und weil manche Mitglieder gegen die Gewerkschaft waren.»

Eine gewerkschaftliche Seite

Dann gab es eine Annäherung, erinnert sich Kathy Rami: «Als Laien brauchten wir die Gewerkschaft ganz einfach, um Fortschritte zu erzielen. Sonst hätte uns die Direktion von Anfang an überrollt wie in St. Gallen. Die Gewerkschaft hat uns sehr geholfen.» Mit der Zeit lernte sie, für ihre Würde und jene ihrer Kolleginnen und Kollegen und auch zur Verteidigung der Nummer eins der Westschweizer Grafikkunst zu kämpfen: «Ich habe entdeckt, dass ich doch eine gewerkschaftliche Seite habe, das hätte ich nicht gedacht. Aber ich vertrete gern die Interessen meiner Kolleginnen und Kollegen und natürlich meine eigenen. Das ermöglichte mir auch, ziemlich viel Frust wegen der Schlies­sung, die vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre, abzulassen. So konnte ich diese Katastrophe verarbeiten.»

Trotz des langen Kampfs blieb die Zahl der IRL-Mitarbeitenden, die sich gewerkschaftlich organisierten, bescheiden. ­Kathy Rami erklärt sich das so: «Die 55, die entlassen worden waren, hatten andere Sorgen. Ich bin eher für die Gewerkschaft.» Welch ein Weg liegt hinter Kathy Rami. Die aus einem bescheidenen Milieu in Nussbaumen bei Baden (im Aargau, wie Swissprinters) stammende Frau war ursprünglich für ein Jahr nach Lausanne gekommen, um Französisch zu lernen. Und in dieser Sprache hat sie auch, zum grossen Missfallen der Deutschschweizer Direktion von Swissprinters, ihre Kolleginnen und Kollegen verteidigt!

* Morgane Gafner ist Schülerin und hat unseren Redaktor Yves Sancey am Zukunftstag 2012 bei seiner Arbeit begleitet.

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