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Ein GAV muss erkämpft werden

Nach der 6. und letzten Verhandlungsrunde steht fest: Für den Unternehmensverband Viscom ist ein neuer Gesamtarbeitsvertrag nur mit Arbeitszeitverlängerung und radikaler Kürzung der Nachtzuschläge denkbar. Die geforderte Verlängerung des aktuellen GAV kommt für ihn nicht in Frage! Werden 2013 in der grafischen Industrie betriebliche Kampfaktionen stattfinden?

Weit über 2000 Kolleginnen und Kollegen aus mehr als 90 Betrieben haben die Petition «Nein zu 42-Stunden-Woche und Lohnkürzungen» unterschrieben. Diese eindrückliche Meinungsäusserung aus den Druckereien verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Arbeitgeber äusserten sich am 22. November an der 6. und (vorläufig?) letzten Verhandlungsrunde eher etwas «gemäs­sigt». Sicher, das von Viscom präsentierte «letzte Angebot» enthielt weiterhin die Forderungen nach der 42-Stunden-Woche und der Kürzung der Zuschläge für Nachtarbeit. In Sachen Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um 2 auf 42 Stunden verteilten die Druckunternehmer eine Art Zückerchen. Um die Forderung nach jährlich zu leistenden drei Wochen Gratisarbeit weniger hart erscheinen zu lassen, wurde eine «Kann-Formel» ins Spiel gebracht: die 42-Stunden-Woche «kann» vereinbart werden … Allerdings wissen wir nur zu genau: Hat ein Betrieb einmal mit der Arbeitszeitverlängerung begonnen, kommt es danach zum berüchtigten Schneeballeffekt.

«Grosszügiger» Abbau der Nachtzuschläge

Etwas anders jedoch die Haltung von Viscom gegenüber den Zeitungs­druckereien: Offensichtlich haben hier die Arbeitgeber erheblichen Respekt vor der Kampfbereitschaft ihrer Angestellten. Anders kann das Zugeständnis, im Zeitungsdruck bei der 40-Stunden-Woche zu bleiben, nicht interpretiert werden.

In Sachen Kürzung der Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit haben die Unternehmer einen Gang zurückgeschaltet. Viscom-Direktor Gsponer äus­serte, den Unternehmern sei der Sonntag heilig; darum solle der 100-Prozent-Zuschlag pro geleistete Stunde an Sonn- und Feiertagen nicht gesenkt werden. Für die geleistete Nachtstunde solle der Geldzuschlag nicht mehr nur noch, wie anfangs gefordert, 15 Prozent betragen. Ab dem 1. 1. 2014 würde es «grosszügige» 30 Prozent geben, in Zeitungsdruckereien 40 Prozent … Aber Hand aufs Herz: Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass die Betroffenen beruhigt wären, wenn ihr Verlust von Nachtzulagen zukünftig «nur» 300 bis 400 Franken statt 600 bis 800 Franken betragen soll.

Für Viscom und seine Mitgliedsfirmen bedeuten die von Temporärfirmen entsandten Mitarbeitenden weiterhin eine Manövriermasse, mit der sich grosse Kosten sparen lassen. Viscom lehnte nicht nur die gewerkschaftliche Forderung nach der GAV-Unterstellung dieser Kolleginnen und Kollegen ab. Ebenfalls auf taube Ohren traf auch unsere Minimalforderung, wenigstens die Minimallöhne des (allgemeinverbindlichen!) GAV für den Personalverleih in den Druckereien anzuwenden, das wären für Ungelernte Fr. 16.46 pro Stunde bzw. Fr. 17.56 in sogenannten Hochlohngebieten.

Zugeständnisse durch Viscom

Die Druckunternehmer wollten sich aber nicht nur als Abbauer von Arbeitsbedingungen profilieren. Sie zeigten sich auch zu gewissen Zugeständnissen bereit. Die gewerkschaftliche Forderung nach der Erhöhung aller Minimallöhne um mindestens 200 Franken wurde in zwei Kategorien akzeptiert: Die Gelernten mit einer vierjährigen Lehre sollen neu im 1. bis 4. Berufsjahr mindestens Fr. 4200.– und die Ungelernten Fr. 3800.– garantiert bekommen, ausser in den industriellen Weiterverarbeitungsbetrieben. Bei allen anderen Kategorien lehnte Viscom Verbesserungen ab.

Auch den Lernenden soll es ein bisschen besser gehen: Die bisherigen Löhne im 1. und 2. Lehrjahr sollen um je 50 Franken auf 600 bzw. 800 Franken erhöht werden. Der Mindestlohn für PolygrafInnen im 1. Lehrjahr (in diesem Jahr findet die Ausbildung ausschliesslich an der Berufsschule statt) darf um 25 Franken auf 300 Franken pro Monat steigen. Die Lernenden sollen zukünftig ein Anrecht auf den 13. Monatslohn haben.

Dafür bleibt die regelmässige Überprüfung der Löhne von Frauen und Männern für Viscom weiterhin ein absolutes Tabuthema. Die Unternehmer befürworten aber zumindest, dass gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Studie zur Lohn(un)gleichheit in Auftrag gegeben werden soll. Mit einer solchen Studie soll insbesondere endlich Klarheit geschaffen werden, wieso der offiziell ausgewiesene diskriminierende Anteil an der Differenz zwischen den Männer- und den Frauenlöhnen in der Druckindustrie bei 50 Prozent liegt.

Erfreulich ist die Bereitschaft von Viscom, paritätische Betriebskontrollen zu befürworten. Auf Anzeige hin soll eine paritätische Kommission überprüfen können, ob die Bestimmungen des GAV im Betrieb umgesetzt werden oder nicht. Auch die Möglichkeit, eine Konventionalstrafe bis maximal Fr. 8000.– zu verhängen, könnte es geben.

Branchenvorstand vor wichtigen Entscheiden

Am 8. Dezember, einen Tag nach Erscheinen dieser Nummer von «syndicom», wird der Branchenvorstand der Gewerkschaft wichtige Entscheidungen fällen müssen. Die Delegierten aus den Betrieben werden wissen, dass es einen neuen GAV mit den erwähnten Verbesserungen nur geben wird, wenn die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um 2 auf 42 Stunden und die radikale Senkung der Nachtzuschläge hingenommen werden. Vieles deutet darauf hin, dass dieser Erpressungsversuch von Seiten Viscoms durch die Betriebsdelegierten zurückgewiesen wird. Die Kolleginnen und Kollegen werden auch entscheiden, ob es eine Urabstimmung über die Auslösung von Kampfmassnahmen geben soll.

* Hans-Peter Graf ist Zentral­sekretär Grafische Industrie und Verpackungsdruck.

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