Szenen, die erschüttern
Auf nach China! Aber nicht zum diesjährigen Literatur-Nobelpreisträger, dem regimetreuen Mo Yan. Seine bejahende Haltung zur Zensur erschüttert mich. Trotzdem finde ich den Roman «Die Knoblauchrevolte» brillant, eine Kaskade an einmalig scharfen und unvergesslichen Bildern. Aber lassen wir nun eine Frau zu Wort kommen, die junge Bestsellerautorin Geling Yan!
Sie lässt uns zurückblicken auf das Massaker von Nanking im Japanisch-Chinesischen Krieg anno 1937. Damals wurden über 200 000 Menschen brutal getötet und etwa 20 000 Frauen und Mädchen vergewaltigt. Der Roman spielt in einer amerikanischen Missionsschule, die chinesischen Mädchen aus gutem Hause inmitten der Gefechte Schutz bietet. Doch auch eine Gruppe junger Prostituierter sucht und findet unter dem gleichen Dach Zuflucht. Die Welten, die hier zusammenprallen, könnten unterschiedlicher kaum sein. Konfuzianisch geprägte Kultur trifft auf westliche, katholische Lebenseinstellung. Behütete, fromme Klosterschülerinnen wohnen nun mit zwielichtigen Frauen zusammen. Alle hungern und haben Angst. Und trotz der anfänglichen Feindseligkeit kommen sich Schülerinnen und Huren langsam näher und lernen sich zu verstehen. Doch die Lage spitzt sich zu. Die japanischen Soldaten suchen fieberhaft nach Frauen und Deserteuren. Und der alte Pfarrer hat nur noch wenige Stunden, um das Leben seiner Schutzbefohlenen zu retten. Schliesslich sind es die verachteten Prostituierten, die sich für die Kinder opfern. Ein grossartiger Akt an Nächstenliebe – mitten im Kriegsgemetzel! Szenen, die erschüttern.
Und wer zu faul ist, das Buch zu lesen, dem soll die viel gelobte Verfilmung des Romans empfohlen sein: «The Flowers of War». Ob Buch oder Film, das Massaker von Nanking soll nicht vergessen werden!
Christine Hunziker ist Buchhändlerin und Museumsmitarbeiterin.