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Postfinance: Blick über die Grenze

Welche Erfahrungen hat man in Deutschland mit der privatwirtschaftlichen Auslagerung einer kompletten Unternehmenseinheit der Post gemacht? Eine für die schweizerische PostFinance aktuelle Frage; sie stand im Zentrum ihrer zweiten Delegiertenversammlung.

Am 1. Mai des kommenden Jahres wird PostFinance (PF) ausgelagert – wirksam wird dieser Schritt aber schon rückwirkend auf den 1. Januar 2013. Dieses Thema prägte denn auch die zweite Delegiertenversammlung des Bereichs Postfinance vom 10. Oktober in Bern. Den Höhepunkt der Versammlung bildete zweifellos das Referat von Lutz Esslinger – der Kollege von der deutschen Gewerkschaft Ver.di war extra aus dem Ruhrgebiet angereist. Er war bei Ver.di bis letzten Mai im Bundesfachbereich Postdienste auch für die Postbank zuständig. Während des Auslagerungsprozesses der deutschen Postbank von 1995 war er Verhandlungsleiter von Ver.di. Und danach begleitete er bis zu seiner Pensionierung im Mai dieses Jahres die Beschäftigten der Postbank. Bei der DV von PostFinance bot sein Referat nun den Blick über die Grenze nach Deutschland. Allerdings war den Delegierten bei der Diskussion immer bewusst, dass sich die Situation in Deutschland nur schwer mit jener in der Schweiz vergleichen lässt. Bei uns werden sich die Anstellungsbedingungen der Mitarbeitenden von PostFinance in der zweijährigen Übergangsfrist der Auslagerung nicht ändern. Alle Mitarbeitenden stehen weiterhin unter dem GAV Post. Und das Motto von syndicom für die Zukunft im Bereich Logistik lautet «Alles Gelbe unter einem Dach», das heisst: Ein GAV für alle Unternehmenseinheiten.

Ein deutscher Krimi

Lutz Esslingers Vortrag war sehr spannend – beinahe wie ein deutscher Krimi. Es beginnt 1989: Bei der ersten Postreform wurde die Deutsche Bundespost in drei öffentliche Unternehmen geteilt: Postdienste, Telekom und Postbank. Fünf Jahre später wurde mit der zweiten Postreform die Privatisierung dieser drei Postunternehmen eingeläutet. Es entstand u. a. die Deutsche Postbank AG, welche eine Vollbank-Lizenz erhielt. Nach der Privatisierung wurden etliche Tätigkeitsbereiche in neu gebildete Tochterunternehmen ausgegliedert. Die damalige Deutsche Postgewerkschaft kämpfte mit grossen Aktionen und Demonstrationen für gute Arbeitsbedingungen und erzielte zahlreiche Erfolge. Die 2001 aus einer Fusion (unter anderem der Postgewerkschaft) entstandene Ver.di kämpfte und kämpft weiterhin für den Erhalt der Arbeitsstellen und gute Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Postbank AG. Im Januar 1999 kaufte die Deutsche Post AG die Postbank von der Bundesrepublik Deutschland. Nach diversen weiteren Übernahmen und dem Gang an die Börse kaufte die Deutsche Postbank AG 2006 die 850 attraktivsten Postfilialen und baute sie kurz darauf in «Finanzcenter » um. In diesen Finanzcentern wurden nebst den Finanzdienstleistungen weiterhin Postdienste aller Art angeboten. In den folgenden Jahren erweiterte die Postbank ihr Filialnetz. Im November 2010 übernahm die Deutsche Bank die Mehrheit der Postbank-Aktien. Kurz darauf wurde angekündigt, dass 2012 die Deutsche Bank die totale Kontrolle über die Deutsche Postbank AG bekommen sollte. Nur noch die Deutsche Bank sollte Entscheidungen treffen. Für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft Ver.di eine Veränderung zum Schlechten.

Unabhängigkeit in Gefahr
Nach vier Streiktagen und einem mehrtägigen Verhandlungsmarathon konnten im Dezember 2011 mehrere Erfolge für die Beschäftigten errungen werden. Unter anderem konnte die 39-Stunden-Woche beibehalten und ein Überleitungs-Tarifvertrag erarbeitet werden. Nun besteht die Gefahr, dass die Postbank nach der Übernahme keine vollständige Bank mehr sein wird, sondern nur eine grosse Vertriebseinheit des grossen Bruders in Frankfurt. Das spannende Referat von Lutz Esslinger war ein voller Erfolg. Der Jahresrückblick zeigte an der DV, dass syndicom als Sozialpartnerin bei PostFinance 2012 einige Erfolge verzeichnen konnte. Auch der syndicom-Bereichsvorstand PF ist sehr erfolgreich unterwegs und konnte viel bewegen (siehe unten). Erfreulich ist zudem, dass im Bereichsvorstand wie auch bei den Delegierten des Bereichs jede Generation vertreten ist.

Rückblick des Bereichsvorstands PostFinance anlässlich der Delegiertenversammlung PostFinance am 10. Oktober 2012:

  • Der Bereichsvorstand konnte erneut ausgebaut werden, nun sind es neun Kolleginnen und Kollegen, die alle Generationen und die grössten Bereiche von PostFinance vertreten
  • Die zwei ersten Delegiertenversammlungen des Bereichs PostFinance waren ein Erfolg
  • Der Bereichsvorstand PF brachte an den beiden Fachkommissionssitzungen (FAKO) über seine drei FAKO-Delegierten viele Anträge ein
  • Die Mitglieder des Vorstandes erarbeiteten gemeinsam ein Informationsblatt für die Mitarbeitenden von PostFinance, das ca. zweimal jährlich erscheint.
  • Der Vorstand erarbeitete zusammen mit den Delegierten ein Werbe-Argumentarium für die syndicom-Vertrauenspersonen bei PostFinance
  • Der Bereich PostFinance ist auch mit einem Sitz im Zentralvorstand von syndicom vertreten
  • Weiter kann syndicom zwei grössere Erfolge im Bereich PostFinance verzeichnen:
  • Dank der Intervention von syndicom werden die zum Teil massiven Überzeiten abgebaut und es sind Massnahmen zur Eindämmung von Überzeit eingesetzt worden. Zudem wird der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) Post  im Zusammenhang mit der Handhabung der gleitenden Arbeitszeiten nun richtig angewendet, nachdem einige GAV-Unregelmässigkeiten aufgedeckt wurden.
  • Beim Bereich PF4, Backoffice, wurden Gespräche mit der Leitung geführt, nachdem auch hier viele Rückmeldungen zu hoher Arbeitsbelastung und lang andauernde Mehrarbeit zu syndicom gelangten. Die Gespräche waren sehr konstruktiv.

Der Bereich PostFinance ist zur Zeit mit weiteren spannenden Projekten beschäftigt. Interessierte sind jederzeit willkommen. Melde dich einfach unter sektor.logistik[at]syndicom.ch

 

Sonja Oesch


PostFinance geht es blendend

  • 100 000 neue Kundinnen und Kunden hat PostFinance allein in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahrs gewonnen – so viele wie nie zuvor im gleichen Zeitraum.
  • 2,9 Millionen KundInnen hat das Unternehmen gegenwärtig.
  • Rund 103 Milliarden Franken betrugen die verwalteten Kundenvermögen – über 10 Milliarden mehr als im Vorjahr.
  • Und der Gewinn von PF stieg dank Sondereffekten auf 499 Millionen Franken. Dieser Gewinn liegt um 7,8 Prozent höher als jener der Vorjahresperiode – damals betrug er 463 Millionen Franken.
  • Das Ergebnis für das Jahr 2012, so Postfinance in einer Medienmitteilung, hänge weiterhin stark davon ab, wie sich die Finanzmärkte entwickelten.

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