Die Kontroverse um die Konvergenz
An der Branchenkonferenz Presse und elektronische Medien vom 3. November diskutierten Newsroom-Erfahrene und demnächst von der «Konvergenz» Betroffene über die überall geforderte Zusammenführung von Online- und Print-Journalismus.
Ein Gespenst geht um in der Schweizer Medienlandschaft: Das Gespenst von der Konvergenz. Gespenstisch ist die grassierende Fusionitis nicht nur, weil sie viele Medienschaffenden verunsichert und in den Redaktionen für Unruhe sorgt, sondern auch, weil sie ganz verschieden umgesetzt wird. Man weiss also nicht recht, was das Wort aus dem Munde der verschiedenen Chefredaktoren jeweils genau bedeutet. So galten beim mittlerweile zusammengeführten Schweizer Radio und Fernsehen SRF, wo zwei unterschiedliche elektronische Medien (und Kulturen) zur Konvergenz gezwungen wurden, finanziell ganz andere Vorgaben als bei der geplanten Konvergenz von «Tages-Anzeiger» und Newsnetz, die sich noch viel deutlicher als schlecht kaschierte Sparübung entpuppt. Nochmals anders sieht es bei der NZZ aus, wo Print und Online seit Mitte Juni versuchen, die unterschiedlichen Vorzüge der verschiedenen Medien nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zum gegenseitigen Vorteil einzusetzen. Manchmal trägt die Konvergenz auch andere, noch schnittigere Namen, wie beispielsweise «Newsroom». So im Hause Ringier, wo die Redaktionen von «Blick.ch», der Printausgabe, von «Blick am Abend» und «Blick am Sonntag» bereits seit März 2010 enger zusammenarbeiten müssen.
Es gälte auf- statt abzubauen
Um der Ungewissheit mit einem Erfahrungsaustausch zu begegnen, lud der Vorstand Presse und elektronische Medien an seiner Branchenkonferenz Thomas Benkö ein, Blattmacher von «Blick am Abend» und schon fast ein alter Hase im Ringier-Newsroom. Ausserdem die NZZ-Online-Journalistin Alice Kohli, die bei der «alten Tante» um mehr Anerkennung für ihr junges Metier zu kämpfen bereit ist, und den TA-Wirtschaftsredaktor Romeo Regenass, der der Konvergenz im Hause Tamedia mit Sorge entgegensieht. Bei der Zusammenlegung der Online- und Printredaktionen im «Tages-Anzeiger» soll im zweistelligen Prozentbereich am Budget gespart werden. Was nicht über den geringeren Aufwand bei IT und Raumbedarf erreicht werden kann, wird auf die Personalkosten überwälzt. Mit anderen Worten: Trotz Einstellungsstopp und Frühpensionierungen muss mit Entlassungen gerechnet werden.
Dass es auch – oder eigentlich nur – anders geht, liesse sich bei der NZZ abschauen. Dort wurde in Redaktion und Fusionsbudget investiert statt abgebaut, damit die Qualität der resultierenden Konvergenzprodukte den Qualitätsansprüchen des Traditionsblattes (und der Leserschaft) genügen kann.
Koordinationsaufwand
Thomas Benkö bezeichnete den «Blick»-Newsroom mit seinen vier Produkten als einen der kompliziertesten in Europa. «Trotzdem lachen wir immer noch», wusste er zu beruhigen. Für mehr als zwei Medien arbeite kaum jemand, dazu seien die Unterschiede zwischen Bezahl- und Gratismedien zu gross. Und: Man habe zwar mehr personelle Ressourcen, aber auch einen grösseren Koordinationsaufwand.
Turbulenzen gab es bei der Umstellung nicht nur im Ringier-Newsroom, sondern auch bei der NZZ, wo nicht alle Mitglieder der Printredaktion bereit sind, mit den Onlinern auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Einem Kollegen von «20min.ch» war der Input zu verdanken, dass man nicht immer glauben solle, dass im Internet nur Printartikel abgefüllt würden, vielmehr leiste gutes Online eine andere Art der Berichterstattung, die manchmal auch mehr Qualität aufweise. Man denke an Web-TV oder Live-Ticker bei Wahlen oder Sportereignissen.
Jugend zahlt sich nicht aus
Aus gewerkschaftlicher Sicht besonders interessant war die Lohnfrage. Obwohl es Bestrebungen gibt, die RedaktorInnen unabhängig vom Medium, für das sie schreiben, zu bezahlen, sind die Unterschiede noch beträchtlich. Die Podiumsrunde war sich allerdings einig, dass dies auch daran liege, dass in den neuen Medien eher junge Leute arbeiteten und also die erfahrenen, älteren und gut bezahlten JournalistInnen häufiger im Print zu finden seien. Die Diskussion brachte auch bisher selten gehörte Vorteile von Newsroom-Modellen zur Sprache, wie die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wer im Schichtbetrieb arbeitet, kann nach acht Stunden nach Hause – für gestandene Recherchejournalisten, deren Arbeitstag erst endet, wenn ihre Geschichte fertig geschrieben in Druck geht, gibt es da also noch Positives zu entdecken. Das ändert aber nichts daran, dass auch solche Vorteile nur dann zum Tragen kommen können, wenn die Arbeitgebenden einsehen, dass Qualität Zeit braucht und darum ihren Preis hat – ganz egal in welchem Medium der Artikel am Ende erscheint.