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Zeitungsdruck: Alles ein bisschen anders im Tessin

Der Centro stampa Ticino ist die modernste Zeitungsdruckerei im Tessin. Vor einem Jahr hat die Besitzerfamilie, die auch den «Corriere del Ticino» herausgibt, einen zweistelligen Millionenbetrag in eine neue Druckmaschine gesteckt. Ein Risiko, dass sich gelohnt hat, finden die Verantwortlichen. Auch wenn die Auslastung zurzeit bescheiden ist. Jetzt kommen die Gratiszeitungen.

 

Am 7. September erschien die Ausgabe Nr. 1 von «10 minuti». Layouterisch und inhaltlich kommt das Gratisblatt ähnlich appetitlich daher, wie die speckig-grauen Haarsträhnen seines geistigen Vaters, Lega-Chef Giuliano Bignasca. Eine Woche später, am 14. September lag erstmals «20 minuti» in den Tessiner Zeitungsboxen. Die Pendlerzeitung wird von Tamedia und dem Tessiner Verleger Giacomo Salvioni gemeinsam produziert. Auflage: 36‘000, Druck: RingierPrint, Adligenswil.


Diese Neuerungen haben Auswirkungen auf den Centro stampa Ticino SA im Industriegebiet der kleinen Gemeinde Muzzano bei Lugano. Zum einen spülen die Gratisblätter zusätzliche Einnahmen in seine Kasse: Er produziert jeweils am Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag «10 minuti». Der Centro könnte andererseits aber auch Einbussen erleiden, weil die Bezahlzeitungen, die er druckt, Konkurrenz erhalten. 10 und 20 minuti kämpfen um den gleichen, recht überschaubaren Tessiner Leser- und Werbemarkt. Die schweizerische Fachzeitschrift «Werbewoche» schreibt, dass dies besonders das «Giornale del Popolo» gefährden könnte, die kleinste der drei Tessiner Tageszeitungen. Allerdings wird dem «Giornale», das mehrheitlich dem Bistum Lugano gehört, seit Jahren das baldige Ableben prognostiziert. Doch es zeigt keine Einsicht in die meist aus der Deutschschweiz stammenden Expertenurteile und existiert trotzig weiter. Im Tessin seien die Verhältnisse eben etwas komplizierter, kommentiert syndicom-Regionalsekretärin Barbara Bassi. Gedruckt wird das «Giornale» im Centro Stampa.


Der «Corriere der Ticino», die kostenpflichtige Tageszeitung mit der grössten Auflage, wird nicht nur in Muzzano gedruckt, sondern auch hier geschrieben. Die Stiftung der Familie Soldati, die hinter dem Druckzentrum steht, gibt auch den «Corriere» heraus. Die Redaktion ist im gleichen Gebäude untergebracht wie die Druckerei. Schliesslich gibt es im medial reich gesegneten Kanton noch «La Regione Ticino». Sie wird von Giacomo Salvioni herausgegeben und in dessen eigener Druckerei in Bellinzona gedruckt.


Unsichere Aussichten


Stefano Soldati, Mitglied der Besitzerfamilie und Marketingverantwortlicher des Centro stampa, zuckt mit den Schultern, wenn er einschätzen soll, wie viel die Gratisblätter den Bezahlzeitungen wegnehmen werden. «Die Lage hat sich verändert, aber wir wissen nicht, was passieren wird.» Er hegt gewisse Zweifel am Erfolg der Gratiszeitungen. Anders als nördlich der Alpen gebe es im Tessin weniger grosse Zentren und die Pendler benützten mehrheitlich das Auto, gibt Soldati zu bedenken.


Was die Zukunft auch bringen mag, fürs erste haben die jüngsten Verwerfungen in der Tessiner Zeitungslandschaft dem Centro stampa eine bessere Auslastung gebracht. «In der Nacht sind wir voll», sagt Produktionschef Paolo Geninasca. Los geht es mit 40‘000 bzw. 80‘000 Exemplaren «Corriere». Die Zeitung hat auf die neue Konkurrenz reagiert und bringt seit dem 20. September jeweils am Dienstag und Donnerstag eine Grossauflage unter die Leute. Auf den «Corriere» folgt die 18‘000er Auflage des «Giornale der Popolo». Zum Schluss werden die 25‘000 «10 minuti» im Tabloidformat produziert.


In der Nacht von Samstag auf Sonntag jagen die grossen, bunten Lettern des „Mattino della domenica“ über die Druckzylinder, ebenfalls ein Gratisblatt und unverkennbar auch das Werk von Giuliano Bignasca. Es steht in starker Konkurrenz zu «il caffè», einer zweiten kostenlosen Sonntagszeitung, die Ringier zusammen mit dem Tessiner Verleger Giò Rezzonico herausgibt. Sie wird ennet dem Gotthard von Ringier in Adligenswil gedruckt.


Riskanter Entscheid, kein Stellenabbau


Gedruckt wird all dies auf einer nigelnagelneuen Wifag Evolution 371 E. Die vier tomatenroten Drucktürme und das Falzwerk der Rotation stehen in einer grosszügigen, lichtdurchfluteten Halle mit grossen Fenstern, die extra für die neue Maschine gebaut wurde. Sie ist seit letztem Jahr im Betrieb und hat «mehrere Millionen» gekostet. Genauere Zahlen kommuniziert das Unternehmen nicht, gemäss Schätzungen dürfte es sich um einen zweistelligen Millionenbetrag handeln. «Die Investition in dieser Zeit war ein Risiko, aber die Rechnung ist aufgegangen», sagt Soldati. Man habe zusätzliche Aufträge akquirieren können. So zum Beispiel die italienische Ausgabe der Coop-Zeitung, die seit Januar jeweils am Montag im Centro Stampa produziert wird. Schon seit vielen Jahren zählt die Migros mit ihrer Kundenzeitschrift «Azione» zu den Kunden. Sie wird immer freitags gedruckt, dank der neuen Maschine nun durchgehend vierfarbig.


An den anderen Wochentagen hätte es tagsüber noch Platz für weitere Aufträge. Gemäss Produktionschef Geninasca liegt die Auslastung des Centro bei rund 50 Prozent. Weil das Auftragsvolumen trotz dieses bescheidenen Werts insgesamt zugenommen hat, wurden keine Arbeitsstellen abgebaut. Die Gleichung teure Maschine = weniger Personal stimmt für einmal nicht. Anders sah es nach der Modernisierung der Spedition zwei Jahre früher aus. Mehr als die Hälfte der Stellen wurde gestrichen. Entlassungen gab es allerdings keine. Die Betroffenen wurden entweder frühpensioniert oder im Betrieb umplatziert. Heute arbeiten rund 160 Personen in Muzzano, 50 davon auf der Redaktion des «Corriere».


Gute Bedingungen


Drucker gibt es noch ihrer zehn. Valerio d’Ettorre ist einer davon. Er hatte von 2002 bis 2004 im Druckzentrum gearbeitet, dann eine längere Ausbildung in visueller Kommunikation absolviert und ist 2008 an seine alte Stelle zurückgekehrt. D’Ettorre ist voll des Lobes für seinen Arbeitgeber. Die Mitarbeitenden stiessen mit ihren Anliegen jederzeit auf offene Ohren, man erhalte Anerkennung für die Arbeit und die Arbeitsbedingungen seien gut. Entsprechend angenehm sei das «ambiente di lavoro» und die Beziehungen im Betrieb herzlich. Die Umstellung auf die neue Druckmaschine und die Abwicklung neuer Aufträge führe verschiedentlich zu höheren Belastungen. «Da dauert eine Schicht auch mal länger», sagt D’Ettorre. Aber die Überstunden könnten kompensiert werden. Die Schichtmodelle sind im Centro stampa einfach. Es gibt eine Tag- und eine Nachtschicht, alle zwei Wochen wird gewechselt.


Die Direktion des Druckzentrums erfüllt die Bestimmungen des GAV. Dadurch ergäben sich Arbeitsbedingungen, die für das Tessin gut seien, erklärt syndicom-Regionalsekretär Gabriele Castori. Natürlich gebe es gelegentlich auch Probleme. In offenen und redlichen Verhandlungen sei es bisher aber immer gelungen, Lösungen zu finden, die allen dienten. Ob das Unternehmen die Nachtzuschläge für neu angestellte Mitarbeitende ab Anfang 2012 senkt oder auf dem bisherigen Niveau belässt, ist noch nicht entschieden.

 

Andreas Minder, Journalist BR, Zürcher Bürogemeinschaft freier Journalisten Presseladen

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