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Medienfreiheit: Groteske mit System

Der Fotojournalist Klaus Rózsa beobachtet 2008 einen Polizei-Einsatz, den er für unverhältnismässig hält undfotografiert. Die Polizisten legen ihn in Handschellen. Vier Jahre später kommt es zu einem Prozess. Einem Prozess gegen die Medienfreiheit. Und die Medien schauen weg.

Grotesk waren die Szenen, die sich am frühen Morgen des 9. Juni im und vor dem Bezirksgericht an der Zürcher Wengistrasse abspielten. Drinnen sass eine offenbar verschreckte Richterin, draussen standen ein verlorenes Grüppchen von etwa zehn Sympathisanten, Gewerkschafterinnen und Freunden des Angeklagten sowie zwei interessierte Medienvertreter. Nur zwei, muss man sagen. Denn der Prozess gegen den Pressefotografen Klaus Rózsa war auch ein Prozess gegen die Medienfreiheit. Und das sich abspielende Theater war bezeichnend für die Bedeutung, die ihm die Zürcher Justiz selbst zuspricht. Warum sonst wurde die Polizei gerufen, um die durchaus sittsamen Besucherinnen abzuschrecken und dann hochnotpeinlich zu durchsuchen, bevor sie schliesslich doch dem – öffentlichen – Prozess beiwohnen durften, der mit etwas mehr als einer Stunde Verspätung und unter strenger Bewachung begann.

Grotesk ist auch die Geschichte, die zu diesem Prozess geführt hatte: Klaus Rózsa, früherer Präsident des Zürcher Gewerkschaftsbundes und des Sektors Presse der syndicom-Vorgängerin comedia, war am 4. Juni 2008 beim kurz zuvor besetzten Hardturmstadion Zeuge eines Polizei-Einsatzes geworden. Er fotografierte, was er für unverhältnismässig hielt: Polizisten, die mit Gummigeschossen auf die Besetzer zielten. Was danach geschah, lässt sich anhand der Aufnahmen aus seiner Kamera (siehe www.syndicom.ch/bilder_rozsa) rekonstruieren: Rózsa wurde festgenommen, zu Boden gedrückt, in Handschellen gelegt. Es sind entwürdigende Szenen, die verständlich machen, weshalb der Fotograf die Polizisten später verklagte.

Ans Bein gespuckt?
Doch nicht dieses Verfahren wurde am vergangenen Freitag verhandelt, sondern die Gegenklage der von ihm beschuldigten Ordnungshüter, die ihrerseits Klaus Rózsa wegen «Gewalt und Drohung gegen Beamte» sowie «Hinderung einer Amtshandlung» vor den Kadi zogen. Während Rózsas Klage nach vier Jahren immer noch im Untersuchungsstadium feststeckt, stand nun also der bald sechzigjährige Fotograf vor Gericht, weil er einem der Beamten bei der Verhaftung ans uniformierte Bein gespuckt und derart mit den Füssen ausgeschlagen habe, dass er dabei auch dessen Kollegen getroffen haben könnte: So die zwei heftigsten von sechs Anklagepunkten.

Die Groteske hat System: Wenn Polizisten wegen unverhältnismässigen Verhaltens verklagt werden, reagieren sie mit einer Gegenklage. Der Kläger wird kriminalisiert, um die Angeklagten zu entlasten.

Doch im speziellen Fall geht es um noch mehr. Klaus Rózsa ist Pressefotograf. Es ist sein Beruf, Ereignisse für die Berichterstattung – für die Information der Öffentlichkeit – festzuhalten. Und es gibt Gesetze die ihn – und mit ihm alle anderen Medienschaffenden – bei der Ausübung dieses Berufs schützen. Schützen sollten. Es darf nicht sein, dass Journalisten und Fotografen wegverhaftet werden können, wenn sie unliebsame Szenen beobachten. Das ist in einem Bundesgerichtsurteil von 2002 festgehalten. Der Teilschuldspruch, den Klaus Rózsa sechs Stunden nach der absurden Morgenszenerie entgegennehmen musste, kann auch als Freipass für entfesselte Ordnungshüter verstanden werden, Zeugen niederzuknüppeln und dann vor Gericht zu bringen. So liessen sich auch Medienvertreter mundtot machen. Wenn sie es nicht schon wären. Nicht nur die unrechtmässige Festnahme des Fotografen ist bedenklich – auch die ausbleibende Berichterstattung wirft Fragen auf. Haben die von diversen Entlassungswellen und vom Unterhaltungsdiktat gebeutelten Journalistinnen und Journalisten tatsächlich nicht gemerkt, dass sie mit auf der Anklagebank sassen?

Nina Scheu.
Dieser Artikel erschien auch in der «Wochenzeitung» vom 14. Juni.

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